Forschungszwischenbericht: Drei neue Thesen und mein ganz privater Wandel der Arbeit

Gearbeitet wird ja immer, freilich auch bei Measuring Work. Berichtet habe ich darüber in letzter Zeit wenig, aber nur, weil ich wirklich fleißig bin.

Tatsächlich widme ich mich gerade vor allem der Vermessung meiner eigenen Arbeit. Nachdem das Leben mich vergangenen Jahr eine empirische Überprüfung meiner eigenen Arbeitswerttheorie hat durchführen lassen (Ergebnis: ja, Arbeit ist normativ bedeutsam und moralisch wertvoll und in dieser Hinsicht schwer bis gar nicht zu ersetzen; gute Arbeit ist sinnvoll, kooperativ und basiert auf wechselseitiger, auch angemessener monetärer Anerkennung; das Fehlen von solcher Arbeit kann krank machen), stelle ich mich nun der praktischen Aufarbeitung. Von außen betrachtet pendelt der Status einer freien Philosophin und Mutter irgendwo zwischen „Hausfrau“ und „Privatgelehrte“, wobei ich mein Spektrum und meine Kompetenzen da längst noch nicht ausgeschöpft sehe.

Denn in Wahrheit ist Klarheit – das merke ich in Gesprächen, bei Recherchen, beim Zeitunglesen und beim Nachdenken über Alltagsbegegnungen – gerade beim Thema Arbeit so gefragt wie vor 7 Jahren, als ich mit meiner Forschung darüber angefangen habe. Nach wie vor verstehen wir weder Arbeit noch ihren Wandel wirklich oder auch nur hinreichend, um beides gut zu gestalten. Weil wir das dringend sollten, leiste ich weiter meinen Beitrag dazu, inzwischen haupt-, aber noch immer freiberuflich und beinahe in Vollzeit. Ausdrücklich will ich nicht für Bibliothek und Schublade denken, schreiben und streiten, sondern für das Leben, weil ich meine, fürs Erste verstanden zu haben, was Arbeit ist und leistet und weil ich von hier aus den Wandel der Arbeit wirklich gestalten will. Aber wo anfangen?

Deshalb ringe ich gerade vor allem darum, meine Theorie mit der Praxis zusammenzubringen und hierin meinen Platz zu finden (sagen Sie mir gern Bescheid, wenn Sie einen für mich haben); Arbeit und die Phänomene und Orte ihres Wandels vor der Frage zu ergründen, die mich noch immer um- und antreibt: Was will, kann und soll diese neue Arbeit zum Gelingen unserer Lebensführung beitragen, d. h., wie müssen wir sie verstehen, uns aneignen und gestalten; worauf müssen wir bei der Beantwortung unserer institutionellen und praktischen Gestaltungsfragen fokussieren und worauf müssen wir unser Verständnis von Arbeit zuspitzen?

Dass Arbeit etwas mit unserem Leben und deshalb irgendwie mit allem zu tun hat, von dem sich sehr viel übrigens gegenwärtig ebenfalls wandelt, macht mein Verortungsvorhaben nicht leichter. So versuche ich gerade, mir meinen weiteren Forschungsweg zu bahnen und werfe zu diesem Zweck fürs Erste ein paar Thesen ins Gestrüpp, die mir neuestens in den Kopf gefallen sind und die ich immerhin schon ein bisschen zurecht gehauen habe. Von ihnen aus lässt sich der Wandel vielleicht aus einer erhobenen, aber doch immanenten Perspektive recht gut betrachten, schließlich verstehen und lenken.

Erstens: Wir müssen die Digitalisierung in erster Linie menschenwürdig gestalten.

Die Debatte um Arbeit und Digitalisierung wird sehr selbstreferenziell geführt; sie hinterfragt ihr eigenes Verständnis, dass Arbeit vor allem eine ökonomische Praxis sei und nach den Gesetzen des Marktes funktioniere, nicht genug. Dabei weisen die veränderten Ansprüche an Arbeit einem längst überfälligen Neuverständnis den Weg, nämlich: Arbeit wieder als menschliche Praxis und Institution zu begreifen; als Instrument menschlicher Zweckverwirklichung und zur Schaffung von Verhältnissen, in denen wir alle gut leben können. Digitalisierung macht einen Fortschritt möglich, den wir in die eine oder in die andere Richtung dirigieren können, den wir aber in Richtung Mensch lenken und deshalb auch denken müssen. Der Mensch ist Zweck an sich selbst (Kant), folglich dient sein Handeln der Verwirklichung seiner Zwecke; als Individuum und als Gattungswesen, d. h. auch gesellschaftlich und global. Arbeit ist nichts mehr und nichts weniger als ein Werkzeug unserer Lebensführung; die Veränderungen durch die Digitalisierung müssen Verbesserungen und Erleichterungen im Hinblick darauf bringen, was dem Menschen wirklich würdig ist, also seinen Bedürfnissen und Anlagen entspricht.

Zweitens: Der Mensch strebt ständig danach, seine Situation zu verbessern und seine Zwecke und damit auch sich selbst weiterzuentwickeln. Mit dem Wandel von Arbeit erhält er die Freiheit wie die Notwendigkeit dazu: Deshalb sind Bildung und berufliche Qualifizierung der Schlüssel zu einer erfolgreichen Digitalisierung. 

Wo die Digitalisierung immer mehr einfache Arbeiten und Routinetätigkeiten an Computer, Roboter und KIs vergibt, wird der Mensch entlastet von Tätigkeiten mit wenig Entwicklungs- und Selbstverwirklichungspotenzial. Zugleich muss er, um neue Technologien begreifen und beherrschen zu können, über Wissen verfügen und die Fähigkeit wie die Ressourcen, es ständig zu erweitern. In der Zusammenarbeit, nicht in der Konkurrenz mit KIs wird der Mensch seine genuin menschlichen Fähigkeiten verwirklichen und entwickeln. Richtig verstanden, gelenkt und gestaltet, beinhaltet der Wandel von Arbeit also nicht nur den Wunsch, sondern geradezu die Notwendigkeit zur Selbstverwirklichung.

Drittens: Wenn im Wandel von Arbeit wieder der Mensch und dessen Lebensbedingungen zum Zweck von Arbeit werden, wird auch Nachhaltigkeit zum wirtschaftlichen Imperativ.

Denn: Wenn wir die Steigerung unserer Lebensqualität und ausdrücklich nicht die Steigerung unseres Lebensstandards zum Ziel unseren Arbeits- und Wirtschaftshandelns machen, rücken Achtsamkeit, persönliches und ökologisches Ressourcenbewusstsein, Kooperation, Resonanz und Anerkennung in den Vordergrund, denn sie tragen und machen die Beschaffenheit (Qualität) des Prozesses unserer Entfaltung (Leben) aus. Das schließt auch Umwelt, Natur und Klima als unverbrüchlichen Rahmen dieser Entfaltung ein. Wenn wir den Wandel von Arbeit als Wandel hin zum Menschen begreifen, ist er notwendig auch ein Wandel unserer Art der Natur- und Ressourcenaneignung.

Und jetzt?

Jetzt haben wir, so glaube ich, einmal wirklich die Chance, uns unsere Arbeit zurückzuholen, sie zu unserem Werkzeug unserer Lebensführung zu machen. Wir haben das Wissen und die Technologie (das könnte gut ein Filmzitat sein), außerdem den Schneid, das auch wollen. In der Industrialisierung starrten wir staunend auf die Maschinen und wunderten uns, was sie alles möglich machen. Diese Haltung können wir in der Digitalisierung auflösen; stattdessen staunend einander begucken und sehen, was wir füreinander und miteinander alles möglich machen; als Menschen an dieser Stelle unserer gemeinsamen Geschichte.

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